Jan Fleischhauer: War die Wiedervereinigung ein Fehler?

Auf diesem Blog sollen eigentlich vornehmlich unterdrückte Kommentare auf Online-Medien veröffentlicht werden. Darüberhinaus gilt es natürlich auch, sich den einen oder anderen Artikel der etablierten Medien vorzuknöpfen, wenn sich wieder einmal eine groteske intellektuelle Schieflage manifestiert.

Dies geschieht aktuell bei einer Kolumne von Jan Fleischhauer über die angebliche Fremdenfeindlichkeit Ostdeutscher, die signifikant stärker ausfalle als im Westen. Jan Fleischhauer vom „Spiegel“ ist eigentlich einer der Journalisten der „Lügenpresse“, der für Vielfalt im gleichgeschalteten Medienbetrieb sorgt. Die Argumente in seinem aktuellen Erguß sind aber derartig verdreht und tendenziös, daß sie hier einmal auseinandergenommen werden sollen.

Schon die Einleitung hat es in sich:

Der Osten weist den Vorwurf stets von sich, fremdenfeindlich zu sein. So wie der Islam stets abstreitet, mit Terror etwas zu tun zu haben. Warum aber votiert jenseits der Elbe jeder Dritte für Parteien, die ein Problem mit Andersartigkeit haben?

Im Laufe seiner Kolumne erläutert Fleischhauer, daß er mit Andersartigkeit nicht nur ethnische Differenz meine, sondern auch soziale. Die Linkspartei sei eine Partei, die soziale Uniformität anstrebe und ein Problem damit habe, daß es Arm und Reich gibt – um es einmal sarkastisch auszudrücken. Alle anderen Parteien außer AfD und Linker haben also laut Fleischhauer kein Problem mit „Andersartigkeit“.

So kommt Kolumnist Fleischhauer auf sein Drittel, das in Ostdeutschland Andersartigkeit ablehne. Das ist so plump und billig, daß es schon etwas schockiert. Denn Formen der Andersartigkeit gibt es bekanntlich viele. Man könnte jetzt die Werte von Linkspartei und AfD in Westdeutschland addieren und käme dann vielleicht auf 15%. Fleischhauer erwähnt nicht, daß die CSU im Westen, welche bekanntlich eine andere Asylpolitik fordert und auch in der Vergangenheit nicht verlegen war, ein bißchen „fremdenfeindlich“ zu sein, auch auf einen erheblichen Stimmenanteil kommt. Zu erwähnen wären vielleicht noch Jürgen Rüttgers, ehemaliger Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und Freund von „Kindern statt Indern“, sowie Roland Koch mit seiner legendären Wahlkampagne „Ypsilanti, al-Wazir und die Kommunisten stoppen!“ von 2008 in Hessen, die recht unverhohlen an fremdenfeindliche Instinkte appellierte.

Und zu guter Letzt sei auch noch die extreme Mobbing-Kultur genannt, die gerade viele junge „Ossis“ in Westdeutschland erfahren haben. Solche Geschichten höre ich von nahezu jedem Ostdeutschen, den es nach der Wende in den Westen verschlagen hat. Fremden- und Menschenfeindlichkeit können viele Gesichter haben. Fleischhauer dokumentiert mit seinem verqueren Blick auf Ostdeutschland nicht zuletzt selbst ein gehöriges Maß an Fremdenfeindlichkeit.

Das eigentlich Erschütternde an Fleischhauers Argumentation ist die mangelnde Differenziertheit und die Willkürlichkeit, mit der er dem Osten ein Toleranzproblem andichtet. Denn seine Auswahl dessen, das es zu tolerieren gelte, ist sehr subjektiv und selektiv. Ein Problem mit der „Andersartigkeit“ haben sicherlich auch einige katholische Milieus in Süddeutschland, für die die Kinderlosigkeit Merkels ein Problem darstellt oder das Single-Dasein von Ilse Aigner. Und wie ist es um das bildungsbürgerliche Spießertum westdeutscher Provenienz bestellt? Die Plagiatsaffären der vergangenen Jahre betrafen ausschließlich westdeutsche konservativ-liberale Milieus.

Wie bemitleidenswert sind doch Menschen, die ihren Selbstwert derartig vom angeblichen sozialen Status abhängig machen, den ein Doktortitel mit sich bringt? Da scheinen Ostdeutsche aufgrund ihrer egalitären Sozialisation wesentlich lockerer zu sein. Auch wenn man aus hohem Hause kommt, muß man doch nicht zwangsläufig akademisch oder beruflich reüssieren. Wo bleibt da das proletarische Bewußtsein? Der Mut zur Andersartigkeit?

Man könnte sich hier noch lange in dieser Weise über Fleischhauers psychologisch naiven Andersartigkeitsbegriff lustig machen, mit dem er salopp nur dem Osten ein Toleranzproblem, eine Spießigkeit attestiert. Man findet sicherlich noch weitere Beispiele für die Angst vor dem Anderen in Westdeutschland und für eine aufgeschlossenere Lebenshaltung im Osten. Mir fiele z.B. die Angst der Westdeutschen vor den Arbeiter- und Migrantenkindern in einem egalitären Schulsystem ein. Oder die Abneigung zum Dialektsprechen, wie man sie zumindest in Westberlin außerhalb der einfachen Schichten vorfindet.

Wie man sieht, hängt die Definition des „Andersartigen“ auch vom politischen Standpunkt ab – oder vom jeweiligen Verleugnungszustand. Aus ostdeutscher Perspektive muß man der westdeutschen Gesellschaft ebenfalls ein hohes Maß an Angst vor Veränderung attestieren. Wir können also zunächst einmal festhalten, daß Fleischhauers Punkt schlicht und einfach schwach bis nichtig ist, da er auf Teufel komm raus drauf los konstruiert. Bleibt nur noch der Vorwurf des Rechtspopulismus und der eigentlichen Fremdenfeindlichkeit, wenn man Fleischhauers Andersartigkeits-Inflation wieder darauf reduziert, worauf er hinaus will. Sicherlich hat der Osten eine stärkere Affinität zu AfD und Pegida. Aber warum ist er dann gleich „fremdenfeindlich“? Bei den ersten Pegida-Demonstrationen trat auch sichtbar ein „Quoten-Neger“ auf, der sicherlich weniger Hemmungen hat, offen über Multikulti und „Wir schaffen das“ zu reden. Erst jüngst sprach ein schwarzafrikanischer Jugendlicher auf einer Pegida-Demo unter tosendem Beifall des „fremdenfeindlichen“ „Packs“ und ermutigte die Zuhörer zu einem selbstbewußteren Nationalgefühl.

Wir haben hier das klassische Problem, daß in Deutschland vornehmlich von Linken sofort hysterisch „rechts“, „fremdenfeindlich“ oder „rassistisch“ krakeelt wird, sobald man – nicht etwa prinzipiell etwas gegen Ausländer, Migranten oder das Asylrecht habe, sondern – schlicht und einfach Mißstände und Auswüchse anspricht wie z.B. unter Muslimen. Dann wird sofort die Nazi-Keule geschwungen, als habe man per se etwas gegen Asylanten oder Zuwanderer. Zuletzt machte auch der „Spiegel Online“-Autor Stefan Kuzmany wieder Gebrauch von dieser Foltermethode der „weltoffenen Demokraten“. Daß ausgerechnet Fleischhauer in diesen Konformitäts-Chor mit einstimmt, erstaunt.

Man muß nur mal einen Blick in das AfD-Programm, Abschnitt Einwanderung, werfen. Dort steht:

Wir fordern eine Neuordnung des Einwanderungsrechts. Deutschland braucht qualifizierte und integrationswillige Zuwanderung.

Wir fordern ein Einwanderungsgesetz nach kanadischem Vorbild. Eine ungeordnete Zuwanderung in unsere Sozialsysteme muss unbedingt unterbunden werden.

Ernsthaft politisch Verfolgte müssen in Deutschland Asyl finden können. Zu einer menschenwürdigen Behandlung gehört auch, dass Asylbewerber hier arbeiten können.

Weder AfD noch Pegida wünschen sich eine völkische Homogenität, was Fleischhauer aber nicht davon abhält, Folgendes zu formulieren:

Das zentrale Versprechen ist Homogenität, das ist das Wort, um das hier alles kreist. Die einen versprechen soziale Homogenität, die anderen kulturelle. Gegen zu viel Ungleichheit sind beide.

„Die verstörte Nation“ ist die Titelgeschichte des SPIEGEL über die neue Querfront, in der sich links und rechts zusammenfinden, überschrieben. Die Kollegen haben viele Beispiele für den deutschen Ungeist gesammelt, der jeden, der irgendwie aus dem Rahmen fällt, als Zumutung empfindet. Wenn man genau hinschaut, stellt man allerdings fest, dass sich dieser Ungeist fast immer in Ostdeutschland manifestiert. Plauen, Meißen, Erfurt – das sind die Orte, in denen sich der Wunsch nach Gleichförmigkeit so vehement Bahn bricht, dass man von einer Bewegung sprechen kann.

Das Schreckgespenst der „völkischen Homogenität“ muß also herhalten, um eine berechtigte Kritik an der Asylkatastrophe und an muslimischen Parallelgesellschaften zu diskreditieren. Eine geradezu klassische Diffamierungsstrategie. Man verzerrt die Position des Gegners wider besseres Wissen und gegen die Faktenlage. Die zentrale Ironie von Fleischhauers Artikel ist die, daß er als Westdeutscher ein großes Problem mit der ostdeutschen Andersartigkeit hat, die es natürlich auch im Westen gibt, wenn auch weniger deutlich artikuliert. Der absurdeste Satz des obigen Abschnitts ist folgender:

Die Kollegen haben viele Beispiele für den deutschen Ungeist gesammelt, der jeden, der irgendwie aus dem Rahmen fällt, als Zumutung empfindet.

Fallen nicht für Jan Fleischhauer die Ostdeutschen aus seinem schönen westdeutschen Rahmen? Wo ist seine zuvor beschworene Toleranz, wo seine in der pluralistischen Demokratie gelernte interkulturelle Kompetenz?

Gerade hat der Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Christian Thielemann – übrigens auch ein demokratieerprobter Wessi – eine Bannmeile um das historische Zentrum Dresdens gefordert, weil er die aus dem Rahmen fallenden Pegida-Demonstrationen als Zumutung empfindet. Demnächst erwarten wir eine Enthüllungsstory im „Spiegel“ über den deutschen Ungeist Christian Thielemann. Oder über den westdeutschen Politologie-Professor Mielke (!), der am liebsten polizeistaatliche Einschüchterungsmethoden gegen Pegida-Demonstranten angewendet sieht. Das ist keine Satire. Wer den zurückliegenden Link anklickt, wird Zeuge davon, wie lächerlich und realitätsentrückt die Ausführungen von Jan Fleischhauer sind.

Die obigen Zeilen Fleischhauers beschreiben, wenn auch ungewollt, genau den paranoiden Umgang von Medien und Politikern mit Islam- und Asylkritikern verschiedenster Couleur, der aktuell so frappierend ist. Egal ob sie nun aus dem Osten oder Westen kommen. Da wird dämonisiert, gedichtet, mit zweierlei Maß gemessen und verzerrt, was das Zeug hält. Man denke nur an das lächerliche Brimborium um die gezückte Deutschlandfahne eines AfD-Politikers in einer Fernseh-Talkshow oder die Hetz-Rhetorik von Politikern wie Sigmar Gabriel, Heiko Maas, Volker Beck oder Cem Özdemir. Gerade im Umgang mit AfD und Pegida zeigt sich der totalitäre Ungeist der deutschen Gesellschaft.

Der Osten hat nicht oder nur sehr bedingt die Schule westdeutscher, „weltoffener“ politischer Korrektheit durchlaufen. Ostdeutsche tun sich leichter damit, den Multikulti-Irrsinn und negativen Nationalismus westdeutscher Prägung zu hinterfragen. Und es ist auch das gute Recht von Menschen, die bisher nur mit wenigen Ausländern zusammenlebten, einen geringeren Migrantenanteil für erstrebenswert zu halten, als dies Westdeutsche tun, die schon seit vielen Jahrzehnten in einer Einwanderungsgesellschaft leben. Fleischhauer müßte sich nur mal das Programm von Pegida oder AfD anschauen, um sehen zu können, daß es nicht um Ausländer oder Asylanten per se geht, sondern um deren Quantität und Qualität, um den Mißbrauch des Asylrechts, um religiösen Fundamentalismus und kulturellen Autismus gewisser Einwanderermilieus.

Folgendes Zitat bringt die Ironie von Fleischhauers Weltbild noch einmal schön auf den Punkt:

Wenn eine der größten Errungenschaften des Westens das „angstfreie Andersseindürfen für alle“ ist, wie es der Philosoph Odo Marquard genannt hat, dann hat der Osten auch 26 Jahre nach Mauerfall nicht wirklich aufgeschlossen. Wer für das Recht auf Individualismus und gegen die Kuhstallwärme der Volksgemeinschaft eintritt, hat dort bis heute einen schweren Stand.

Zur Erinnerung: Im Gegensatz zum Westen hat sich der Osten die Demokratie selbst erkämpft. Diese Lebenserfahrung und die innere Emigration innerhalb einer totalitären Gesellschaft stecken natürlich noch in den Knochen eines jeden Ostdeutschen. Das „angstfreie Andersseindürfen“ ist in diesen Zeiten leider für all jene eine Wunschvorstellung, die sich offen zu AfD oder Pegida bekennen, die an entsprechenden Demonstrationen teilnehmen möchten. Möglicherweise ist es genau diese schlechte Kopie des DDR-Lebensgefühls, die gerade im Osten ein besonderes Aufbegehren provoziert.

Um es kurz zu machen: Der Westen hat viel größere Probleme mit Individualismus und dem Hinterfragen der Kuhstallwärme der eigenen Volksgemeinschaft, als ihm vielleicht lieb ist. Totalitarismus kann nämlich auch im Gewande linksgrüner Gesinnungsdiktatur und politischer Korrektheit daherkommen, wie sie nur der „individualistische“ Westen entwickelt hat. Die Kuhstallwärme der westlichen Volksgemeinschaft bilden Gender, geschlechtergerechte Sprache, Islamophilie, Feminismus, nationale Geringschätzung, Holocaustmasochismus, „Refugees Welcome“ und vieles mehr.

Gegenüber diesem Totalitarismus sind Ostdeutsche sehr viel mißtrauischer und emanzipierter. Fleischhauer idealisiert ungewollt die westdeutsche Gesellschaft, pathologisiert undifferenziert die ostdeutsche. Wobei hier nun nicht so getan werden soll, als stellte der Osten das Maß der Dinge hinsichtlich der Gesellschaftskritik dar. Auch im Westen gibt es genug innerlich Emigrierte.

Fleischhauer tut uns also den Gefallen, daß er unfreiwillig die Egozentrik und Pathologie vieler Westdeutscher offenbart, für die der Osten ein Mysterium darstellt. Zudem zeigt er uns auch, wie sehr Andersartigkeit auch für konservative und katholische Milieus mit ihrer Sozialismus-Paranoia ein Problem darstellt. Wenn er schon mit dem ostdeutschen Wunsch nach Homogenität kommt, so sollte er doch mal einen Blick auf die spezielle Spießigkeit westdeutscher Milieus werfen. Auf die Angst vor einer sozialeren Gesellschaft, in der man soziale Ungerechtigkeit und eine enorme Spreizung der Vermögensverhältnisse nicht mit dem dummen Wort „Freiheit“ verbrämt.

Es soll hier ja nicht verschwiegen werden, daß Rechtsextremismus und Rassismus ein stärker ostdeutsches Problem sind. Diese Unterschiede gibt es ja tatsächlich. Und sie gibt es ja auch im Westen, vornehmlich dort, wo soziale Verwerfungen existieren.

Das Problem an Fleischhauers Äußerungen ist, daß er mit überbreitem Pinselstrich nach recht willkürlichen Kriterien die ostdeutsche Gesellschaft pathologisiert. Hiermit verrät er ungewollt die Pathologien der westdeutschen Gesellschaft, die zum einen eine sozialere Gesellschaft mit weniger Konkurrenz- und Statusgehabe fürchtet und zum anderen stärker politisch korrekt verblödet ist. Wir haben hier also ironischerweise ein widersprüchliches Krankheitsbild. Die Post-DDR-Gesellschaft ist sowohl für Konservative ein Graus als auch für Linke. Ossis haben weder Bock auf eine künstliche, kapitalistische Heterogenität, die mit Freiheits- und Wettbewerbslametta geschmückt wird, noch auf eine künstliche „völkische“ Heterogenität, wie sie Linke anstreben, um endlich das gehaßte Deutschland aufzulösen.

Dies ist sicherlich eine pointierte Darstellung, aber vielen Ostdeutschen ist der servile, islamo- und xenophile Selbsthaß westdeutscher Linker einfach fremd. Und auch Westdeutsche lernen natürlich dazu.

Vielleicht ist die angebliche „Querfront“ aus Rechts und Links gar nicht so schlecht und stellt viel eher einen Gesundungsprozeß der deutschen Demokratie dar.

Es ist alles eine Frage der Perspektive.